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19.3.2002
"Wir müssen manches zurücknehmen"
Interview: Die hessische Wissenschaftsministerin Ruth Wagner (FDP) hält die Rechtschreibreform für gescheitert und plädiert für eine Umkehr

DIE WELT: Der Dritte Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission hat das Debakel der Rechtschreibreform offenkundig gemacht. Wie geht die Kultusministerkonferenz damit um?

Ruth Wagner: Das stand auf unserer letzten Sitzung gar nicht auf der Tagesordnung. Es ist beschlossen worden, dass sich die KMK inhaltlich damit nicht beschäftigt. Der Bericht ist dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt zugeleitet worden, damit die Schweiz, Liechtenstein und Österreich dazu Stellung nehmen können.

DIE WELT: Das heißt, die Kultusminister warten erst einmal ab, was die anderen Länder dazu sagen?

Wagner: So ist es! Im Frühsommer werden die Antworten da sein, und dann wird die KMK entscheiden müssen, ob wir das noch mal diskutieren oder den Bericht nur veröffentlichen oder ihn der Bundesregierung übergeben, die dann entscheidet, wie die Verwaltung damit umgeht - das ist alles offen.

DIE WELT: Aber was sind die Konsequenzen für die Schüler, die eine Rechtschreibung lernen, von der nach dem Bericht schon feststeht, dass sie bald wieder geändert wird?

Wagner: Als Wissenschaftsministerin habe ich in dieser Sache in der KMK kein Stimmrecht. Aber meine persönliche Meinung dazu werde ich der KMK noch mitteilen.

DIE WELT: Und die wäre?

Wagner: Ich habe von Anfang an gesagt und sehe mich jetzt darin bestärkt, dass diese Reform insgesamt falsch ist. Die alte, bisher geltende Rechtschreibung hatte gewiss einige Korrekturbedürfnisse. Aber was jetzt bei der Getrenntschreibung, bei der s-Schreibung, bei der Groß- und Kleinschreibung gemacht worden ist, ist in Wahrheit sinnentstellend. Und jetzt zeigt sich: In drei großen Nachschlagewerken, im Duden, im Bertelsmann und im Brockhaus, wird nach drei oder vier Jahren bereits abgewichen von den neuen Regeln, und jedes dieser Nachschlagewerke hat andere Schreibungen. Wir haben also eine Sprachentwicklung, die sich einer Normensetzung durch den Bundestag oder die Kultusministerkonferenz entzieht. Man hätte bei der gewohnten Rechtschreibung bleiben und diese dem sich entwickelnden Sprachgebrauch anpassen sollen - das hätte viel mehr gebracht.

DIE WELT: Wie soll es jetzt weitergehen?

Wagner: Ich glaube, dass wir einen Teil der Dinge wieder zurücknehmen müssen. Man könnte sagen: Okay, es gibt eine Norm, die seit hundert Jahren gilt und sich langsam fortentwickelt, aber wir machen keine feste Setzung.

DIE WELT: Wie funktioniert das an den Schulen?

Wagner: Da wird man entscheiden müssen: Wird Rechtschreibung noch benotet oder nicht? Und ist die Benotung versetzungsrelevant oder nicht? Eine ganz schwierige Entscheidung, da will ich den Kultusministern nicht vorgreifen.

DIE WELT: Müssten die Kultusminister nicht eingestehen, dass die Reform gescheitert ist?

Wagner: Ich habe den Eindruck, dass alle Schulminister und auch das Präsidium der KMK nach der vielen Prügel, die sie wegen der Rechtschreibreform bekommen haben, jetzt auf die Linie einschwenken, dass sie sagen: Damit beschäftigen wir uns gar nicht mehr.

DIE WELT: Wo bleibt da die pädagogische Verantwortung?

Wagner: Natürlich kann die KMK bei dieser Haltung nicht stehen bleiben! Wenn die verantwortlichen Minister die Entscheidung vertagt haben, weil sie erst mal die Stellungnahme der drei anderen deutschsprachigen Länder einholen wollen, so kommen sie ja nicht darum herum, dann selbst zu entscheiden. Die KMK hat vor einem Jahrzehnt das ganze Ding angeleiert und hat das systematisch, auch gegen den Widerstand vieler Bevölkerungskreise, durchgesetzt. Dann kann sie nicht in der Schlussphase sagen, eigentlich geht's uns nichts mehr an.

Mit Ruth Wagner sprach Dankwart Guratzsch.


Quelle: Die Welt; per Mail geschickt bekommen...

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